So. 13.07.2025 Glaubenszeugnis (Gunter Prüller-Jagenteufel)
Die Erzählung vom Barmherzigen Samariter ist wohl eines der bekanntesten Gleichnisse der Bibel – der „barmherzige Samariter“ ist sprichwörtlich geworden, selbst außerhalb des engeren kirchlichen Kontexts; denken wir z.B. an den Arbeiter-Samariterbund. Aber gerade das, was einem altbekannt erscheint, ist es oft wert, dass man noch einmal genauer hinschaut. Und so ist das auch heute: Wenn ich die Erzählung vom barmherzigen Samariter auf mich wirken lasse, wenn ich mich hineindenke, dann zeigt sich immer wieder Neues und Überraschendes.
Der Erzählrahmen
Ein Gesetzeslehrer – also ein in Religionsfragen gebildeter Mensch – möchte prüfen, ob Jesus, der Wanderprediger von Auswärts, auch wirklich rechtgläubig ist. Und er stellt die Frage aller Fragen, hier geht es also ums Eingemachte: Was muss ich tun, um von Gott das ewige Leben zu bekommen?
Und Jesus fragt zurück, was man denn in der jüdischen Bibel – unserem Alten Testament – so findet. Worauf der Gesetzeslehrer mit dem auch uns bekannten Doppelgebot antwortet: Gottesliebe und Nächstenliebe. – Na also, da sind wir uns einig, macht Jesus unausgesprochen deutlich. Jetzt müssten wir alle nur noch danach handeln.
Die Szene könnte hier auch schon wieder zu Ende sein. Jesus macht klar, dass er ganz auf dem Boden des jüdischen Glaubens und seiner Gebote steht, und alle sind sich einig, was das bedeutet: Gott zu lieben „mit ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzer Kraft“ und „die Nächsten wie sich selbst“.
Der springende Punkt: Wer ist mein Nächster?
Aber jetzt kommt die große Rückfrage: „Wer ist mein Nächster?“ Das ist nicht rein theoretisch in einer Zeit, wo immer häufiger zu hören ist, dass die Nächstenliebe nicht „grenzenlos“ sein kann. Die müsste zuerst den „Unsrigen“ gelten – den Österreichern, den Deutschen, den US-Amerikanern usw. – und erst in zweiter Linie den „anderen“ – wer auch immer das dann gerade ist: Menschen aus anderen Ländern, mit anderer Kultur, mit anderer Religion etc.
Nun, es stimmt, ich kann nicht alle Menschen lieben, zumindest nicht ich allein. Aber wenn es für die Liebe eine bestimmte Abstufung geben sollte, welche wäre das denn?
Das ist also die Frage des Gesetzeslehrers: Wer ist mein Nächster? Wo kann ich die Grenze ziehen? Wo muss ich die Grenze ziehen?
Die Antwort: Ein Gleichnis
Und Jesus antwortet mit einer Geschichte: Da ist ein Reisender überfallen worden.
Die Notlage – und das sollte uns bewusst sein – fällt nicht vom Himmel. Die Not ist von Menschen herbeigeführt: die Räuber. Die Not unserer Welt ist nicht Strafe Gottes oder blinder Zufall, sie ist teils von Menschen verursacht, teils von Menschen nicht rechtzeitig verhindert
worden – so oder so sind wir Menschen mit verantwortlich – und so liegt es auch an uns Menschen, Not zu lindern und zu beseitigen.
Dann begegnen uns zwei sehr fromme, religiöse Menschen: ein Priester und ein Levit. Die sehen den Überfallenen, haben aber Wichtigeres zu tun. Sie konzentrieren sich auf den Gottesdienst im Tempel, wo sie ja auch bestimmte Aufgaben haben. Dass Gott ihnen in den Armen und Notleidenden begegnen könnte, haben sie wohl vergessen. Und oft geht es ja auch mir so: Ich habe so viel Wichtiges und Dringendes zu tun, dass ich gar nicht sehe, dass jemand mich gerade dringend braucht.
Und dann kommt der „Mann aus Samarien“. Ein Ausländer. Ein Anders-Gläubiger. Einer, mit dem man als frommer Mensch nichts zu tun haben will. Würde Jesus uns heute das Gleichnis erzählen, würde er vielleicht sagen: Ein Mann aus Syrien oder Afghanistan.
Der hat Mitleid – vielleicht ja gerade deshalb, weil er selbst täglich spürt, was es bedeutet, nicht angesehen zu sein, keine Unterstützung zu bekommen. Das Bewusstsein, selbst zu den an den Rand gedrängten und Gemiedenen zu gehören, spielt eine nicht unbedeutende Rolle in dieser Erzählung. Zur konkreten Hilfe in einer Notlage sind oft die bereit, die selbst wissen, wie es ist, wenn man sie braucht, aber nicht bekommt, weil man „anders“ ist.
Wie drückt sich nun das Mitleid des Samariters aus? Nicht im Jammern und Klagen; das hilft gar nichts. Aber auch nicht darin, dass er die Räuber verfolgt und sie ins Gefängnis bringt. Das wäre zwar schon auch wichtig und wenn die Zeit daran ist, sollte das auch getan werden. Aber im hier und jetzt nützt das nichts.
Hier geht es vielmehr darum, konkret zu helfen: die Wunden zu verbinden, für den zu sorgen, der sich nicht selbst helfen kann. Das kann dann durchaus auch heißen, die weitere Hilfe denen zu übergeben, die das auch gut können. Hier dem Wirten, dem der Samariter, das nötige Geld gibt, damit für den Überfallenen gesorgt ist, während er selber sich wieder seinen eigenen Aufgaben widmet.
Handeln, so wie Gott
In all dem erweist sich die „barmherzige Liebe“ – eine Eigenschaft, die bei Evangelisten Lukas übrigens sehr deutlich auf die Liebe Gottes verweist: „Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes“, so sagt er ganz am Anfang seines Evangeliums, ist Christus zu uns gekommen. Und so ist es auch nicht überraschend, dass seit frühester Zeit Jesus selbst mit dem Samariter identifiziert wird. Jesus selbst ist der Samariter, wir sind die Not leidende Menschheit, und er rettet uns. Praktische Nächstenliebe heißt also vor allem: Ich handle so an Dir, wie Gott an mir.
Das ist, denke ich, ein wichtiger Gedanke: Was uns das Sprichwort sagt: „Wie Du mir, so ich Dir“, das kann zwar zu einem guten Miteinander führen, aber eben auch zu einem sehr bösen, wenn wir einander alles heimzahlen, was uns andere antun. „Wie Gott mir, so ich Dir“, das ist etwas ganz Anderes: Das ist die dauernde Bereitschaft, Gutes zu tun. Und wo es Konflikte und Schuld gibt, ist es die Bereitschaft zu Vergebung und Versöhnung.
Und die Moral von der Geschicht‘ …
Die zentrale Pointe der Erzählung kommt aber ganz am Ende: Jesus stellt die Frage: „Wer von diesen dreien meinst du, ist dem der Nächste geworden, der von den Räubern überfallen
wurde?“ Damit wird die Fragerichtung des Anfangs total auf den Kopf gestellt. Dem Gesetzeslehrer geht es um eine Grenzziehung: Wer sind meine Nächsten? Gemeint ist hier: Wem muss ich mich zuwenden, wem nicht mehr? Diese Frage wird von Jesus radikal umgekehrt: Nicht ich habe zu bestimmen, wer meine Nächsten sind; ganz im Gegenteil: Die Frage ist, wem ich zum Nächsten werde oder nicht, indem ich liebevoll und barmherzig handle. Die Initiative dazu liegt bei mir. Und das Kriterium der Nächstenliebe ist nicht die Religion, nicht das Volk, nicht die Sprachgruppe, sondern allein die Frage: Wer braucht mich?
Die bekannte österreichische Schriftstellerin Marie v. Ebner-Eschenbach hat einen treffenden Satz geprägt: „‚Man kann nicht allen helfen!‘ sagt der Engherzige und – hilft keinem.“ – Ich könnte aber auch gerade das Gegenteil denken: „Dir kann ich jetzt helfen – zumindest ein Stück weit!“ Wenn das viele tun, dann wird auch vielen geholfen. Und weil das viele tun, in unserer Gemeinde Steinakirchen und auch weltweit, deshalb wird auch vielen geholfen.
Ich kann dazu eine wahre Geschichte erzählen, die ich erst vorgestern bei uns im Dorf erlebt habe. Da sollten ein paar Kälber auf die Weide geführt werden, angehängt am Traktor sollten sie gehen, so wie man das in unserer Gegend so macht. Nur ein Kalb wollte nicht und nicht dem Traktor folgen. Bockiger als ein Esel hat es sich gewehrt. Und ein Nachbar, der das gesehen hat, hat nicht lang überlegt, hat Most und Speck auf dem Tisch stehen lassen, ist hingegangen, hat das Kalb losgebunden und ist mit dem Kalb zu Fuß hinterher. Ganz alltäglich und auch nicht übermäßig schwer – aber gar nicht selbstverständlich. Ein kleiner Dienst kann zur großen Hilfe werden.
Und so gilt der Satz Jesu mir und dir: „Geh, und handle genauso!“
Lk 10,25–37

